Interview mit Open Up! Projektleiterin Claire Diraison. Aus dem kju Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur | Ausgabe 79, Sommer 2025
Interview mit Open Up! Projektleiterin Claire Diraison. Aus kju, Magazin der LAG Kinder- und Jugendkultur | Ausgabe 79, Sommer 2025
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Kulturelle Teilhabe ist das große Ziel Kultureller Bildung. Wie diese für Kinder und Jugendliche mit Behinderung gelingen kann, ist vielen Akteur*innen oft noch unklar. Claire Diraison von der LAG erklärt, wie die neue Beratungsstelle Open Up! helfen kann. Interview: Maria Preuß
Welche Hürden gibt es für Kinder und Jugendliche mit Behinderung im kulturellen Bereich?
Claire Diraison: Oft fehlen Informationen zur Barrierefreiheit – Eltern müssen sich diese mühsam selbst beschaffen. Es gibt kaum Angebote in Leichter Sprache oder genügend Assistenz. In ganz Hamburg existieren nur drei „Toiletten für alle“, in denen größere Kinder, Jugendliche oder Erwachsene gewickelt werden können. Für diese jungen Menschen bedeutet das: Es gibt schlicht keine Kulturangebote für sie.
Wo siehst du weitere Lücken im aktuellen Kulturangebot?
Claire Diraison: Generell fehlt es an regelmäßigen inklusiven Formaten – und an Angeboten in den Außenstadtteilen. Viele Eltern nehmen weite Wege auf sich, aber nicht alle Familien haben die Kraft und die Ressourcen dazu. Kinder und Jugendliche (und ihre Eltern) sind bereits durch den Schulalltag so gefordert, dass ein wöchentlicher Musikkurs oder Graffiti-Workshop vor Ort nicht mehr möglich ist. Mehr inklusive und partizipative Online-Angebote wären hier eine gute Ergänzung, sowie Ferienangebote im inklusiven Setting. Ein Appell zum Beispiel an die Musikszene: Leisere „relaxed“ Musikangebote mit weniger Teilnehmer*innen und Musikunterricht in Leichter Sprache sind gefragt!
Was sind die häufigsten Herausforderungen für Kulturakteur*innen?
Claire Diraison: Oft fehlt das Wissen, wo man anfangen soll – viele sind verunsichert. Unsere Gesellschaft ist strukturell immer noch stark exkludierend. Viele Akteur*innen haben kaum Berührungspunkte mit jungen Menschen mit Behinderung.
Wie kann die Open Up! Beratungsstelle dabei helfen?
Claire Diraison: Open Up! ist einerseits Anlaufstelle für behinderte Kinder und Jugendliche und ihre Familien, berät und informiert diese. Gleichzeitig unterstützt Open Up! Hamburger Kulturinstitutionen, freischaffende Künstlerinnen und Projektleiterinnen der Kinder- und Jugendkultur.
Wie sieht das Angebot aus?
Claire Diraison: Ab Herbst unterstützen sechs freischaffende Berater*innen mit unterschiedlichen Behinderungen und Expertisen mit individuellen Beratungen, Fortbildungen, Vor-Ort-Checks, Schulungen und Begleitungen bei Projekt- und Konzeptentwicklungen. Derzeit begleite ich zwei inklusive Projekte beim Outreach – sie hätten sonst nicht die Kapazitäten gehabt, um die Zielgruppe zu erreichen.
Wie unterstützt ihr Kulturinstitutionen konkret?
Claire Diraison: Wir helfen bei der Analyse bestehender Strukturen, geben konkrete Handlungsempfehlungen und begleiten Veränderungsprozesse. Wir verstehen uns dabei als Impulsgeberinnen – und auch ein Stück weit als Notfall-Hotline, wenn es klemmt. Die vielen kleinen Schritte hin zu einer inklusiven Öffnung müssen die Akteurinnen aber selbst gehen.
Wie bezieht ihr Kinder und Jugendliche mit Behinderung sowie ihre Familien aktiv ein?
Claire Diraison: Durch eine Umfrage sammeln wir niedrigschwellig ihre Perspektiven und Wünsche. Es entstehen neue Kontakte zu Elternvereinen und Selbstvertretungen. In Planung ist eine „Projektschmiede“, in der Eltern Ideen mit Kulturschaffenden austauschen – als Startpunkt für inklusive Angebote.
Welche Erkenntnisse konntest du schon aus der Umfrage gewinnen?
Claire Diraison: Die Umfrage zeigt erste Bedarfe. Ein großes Hindernis sind Haltungen und Unsicherheiten. Eine Mutter schrieb, sie wünscht sich „das Gefühl, auch wirklich willkommen zu sein, wenn man mit einer Behinderung unterwegs ist.“
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Infos zu Open Up!
Weiterführende Informationen, Termine und Medien gibt es auf der Projektwebsite: Zur Website
Der Open Up! Kulturkalender hilft Kindern und Jugendlichen mit Behinderung sowie ihren Familien, barrierefreie Kulturangebote leichter zu finden. Über Filter nach Alter, Behinderung oder Format lassen sich passende Angebote herausfiltern. Der Kalender reagiert auch auf eine oft genannte Herausforderung der Kultur: Viele Akteur*innen wissen nicht, wie sie die Zielgruppe erreichen können. Über ein Online-Formular können sie ihre barrierefreien Angebote direkt eintragen.
Infos zur Umfrage
Kinder und Jugendliche mit Behinderung sowie ihre Familien, Kulturakteurinnen und Vertreterinnen von Selbstvertretungsorganisationen, der Behindertenhilfe und der Jugendhilfe können an der 10-minütigen Umfrage teilnehmen: Zur Umfrage
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Claire Diraison ist Projektleiterin der Open Up! Beratungsstelle in der LAG. Sie hat Theaterwissenschaft und Kulturmanagement in Frankreich studiert und arbeitet seit 2010 als Kulturmanagerin in Deutschland mit Schwerpunkt auf Kommunikation und Barrierefreiheit.